In Cage of Emergency
Sonne auf die Augen, Geld ins Feuer, Chansons für die Seele und Anthony Bourdain forever.
Moin,
ich hoffe, es geht dir gut. Und wenn es dir heute nicht so gut geht, dann hoffe ich, dass dich dieser Newsletter vielleicht auf andere Gedanken bringt. Könnte ja klappen, einfach mal ausprobieren. Ich habe wieder einen bunten Strauß an persönlichen Anti-Depressiva im Gepäck. Sorry für diesen Phrasenschwein-Satz, liebe Journalistenfreunde, aber alleine diesen Cringe abends in meinem dunklen Homeoffice-Kabuff zu schreiben, hat mir wieder Spaß gemacht. Und darum geht es ja: Machen, was Spaß macht. Oder gut tut. In diesem Sinne: Los geht’s!
Sonne in der Nacht1
Es sieht ja gerade nicht danach aus, aber es ist tatsächlich Sommer. Überall regnet es. Für Depressive kaum zu glauben: Die Sonne existiert trotzdem noch. Und wenn sie wieder scheint, dann lohnt sich der Blick nach oben. Aber bitte nicht so wie es dieser dumme Mann in dem Gif hier unter mir macht. Das könnte ins Auge gehen.
Es gibt eine ganz fantastische Übung für die Augen, die (bei mir) in kurzer Zeit Stress reduziert und dazu noch eine rudimentäre psychedelische Erfahrung zu bieten hat. Man braucht dafür nur die Sonne (ohne Wolken davor) und zwei Hände. Beigebracht hat mir diesen Trick Edda Lorna, Glückstrainerin und Therapeutin aus Bremen, die dank ihrer unnachahmlichen Art ebenfalls eine psychedelische Erfahrung ist. Aber ich schweife ab.
So geht die Übung:
Augen zu.
Die Augen zusätzlich mit den Handflächen abschirmen. Selbst mit geöffneten Augen solltest du jetzt nur noch Finsternis sehen. Eigentlich kein Problem für Depressive.
Das Gesicht zur prallen Sonne drehen, die Hände vom Gesicht nehmen.
Knapp 60 Sekunden mit geschlossenen (!!!) Augen in die Sonne blicken und dabei die Augäpfel hinten den Lidern langsam kreisen lassen.
Die Augen wieder mit den Handflächen abschirmen, das Kinn auf der Brust ablegen. 30 Sekunden Dunkelheit aushalten.
Das Gesicht wieder zur Sonne drehen, Augen zu lassen und die Hände vom Gesicht nehmen.
BOOOOOM! Farbenrausch. Enjoy!
Die Augen wieder mit den Handflächen abschirmen, das Kinn auf der Brust ablegen. 30 Sekunden Dunkelheit genießen. Farben können auch hier auftauchen.
Hände weg, Augen auf. Danach sieht bei mir die Welt dann tatsächlich farbiger aus und ich bin wesentlicher entspannter.
Nicolas Cage rettet den Tag
Wie das obenstehende Gif beweist, hat auch Nicolas Cage die Augenübung schon einmal gemacht. Nicolas Cage hat aber wahrscheinlich eh alles gemacht. Zum Beispiel hat er mal in Oldenburg mit mir zusammen in einem Tresorraum einen Sekt mit O-Saft getrunken. Wo wir auch schon beim Thema Geld wären. Das hatte der Hollywood-Star in seinen glorreichen Zeiten sooooo reichlich, dass er überhaupt nicht gemerkt hat, dass es irgendwann weg war. 150 Millionen US-Dollar soll Cage dank seiner fehlenden Impulskontrolle auf den Kopf gehauen haben.
Es gibt eine wunderbare Liste von allerhand bizarren Dingen, die sich Cage damals geleistet hat - und diese Liste ist einfach höchst unterhaltsam. Für mich ist sie einer der schnellsten Wege, mir ein leicht debiles Grinsen aufs Gesicht zu zaubern. Und vielleicht klappt das auch bei dir.
Das Leben ist ein Chanson
Als ich den französischen Film “On connaît la chanson” (deutscher Titel: “Das Leben ist ein Chanson”) 1997 in einem Hamburger Kino gesehen habe, war ich sofort hin und weg. Der Werk des Regisseurs Alain Resnais sei “beschwingt und profund wie ein guter Woody Allen“ schrieb einst das längst in Vergessenheit geratene Fachorgan “Cinema”. Das ist so halb richtig.
Ja, “On connaît la chanson” erinnert an einen guten Woody Allen (also an den besten2), aber beschwingt geht anders. Der Rezensent der “Cinema” hatte sich damals wohl ein wenig davon täuschen lassen, dass das Ensemble die ganze Zeit so lustig zum Playback bekannter Chansons einzelne Passagen lippensynchron darbietet. Letzteres war übrigens auch der Grund, warum man diesen großartigen Film nie fürs deutsche Publikum synchronisiert hat. Davon aber bitte nicht abhalten lassen: Meine Französischkenntnisse reichen gerade einmal aus, um mit einem gutural gemurmelten “oui” in einer Pariser Bäckerei in Schwierigkeiten zu geraten, und ich habe den Film trotzdem verstanden. Mit Untertiteln geht halt alles. Anbei ein Ausschnitt (ohne Untertitel).
“On connaît la chanson” ist tatsächlich ein verdammt guter Film zum Thema Depression. “Warum versteht mich niemand?”, “Was ist eigentlich los mit mir?” und “Wer hilft mir?” sind zentrale Fragen des Films, die erst eine Auflösung erfahren, wenn beim großen Finale die Depressiven endlich zusammenkommen und sich austauschen. Und sie sprechen mir aus der Seele.
Nicht falsch verstehen: “On connaît la chanson” ist trotz des Themas unglaublich witzig. Wie der beste Woody Allen halt, aber besser. Meine Liebe zu diesem Film ging sogar schon so weit, dass ich einen der Pariser Drehorte besucht habe3 und dort ganz gerührt stand.
“On connaît la chanson” ist leider derzeit bei keinem Streamingdienst zu sehen. Eigentlich eine Frechheit, denn wofür zahle ich eigentlich das viele Geld jeden Monat. Zum Glück habe ich den Film als DVD4.
Anthony Bourdain
Der US-amerikanische Koch und TV-Megastar Anthony Bourdain hat seine Depressionen nicht überlebt. Er nahm sich 2018 das Leben. Jetzt kommt ein Dokumentarfilm über ihn ins Kino (und später auch auf HBO Max). Hier erst einmal der Trailer.
Helen Rosner traf für den “The New Yorker” den Regisseur des Films, Oscar-Preisträger Morgan Neville. In dem wirklich lesenswerten Text hat mich diese Anekdote maximal angesprochen:
There is a moment at the end of the film’s second act when the artist David Choe, a friend of Bourdain’s, is reading aloud an e-mail Bourdain had sent him: “Dude, this is a crazy thing to ask, but I’m curious” Choe begins reading, and then the voice fades into Bourdain’s own: “. . . and my life is sort of shit now. You are successful, and I am successful, and I’m wondering: Are you happy?”
“Are you happy?” Was für eine Frage. Bourdain ist weltberühmt. Er hat jede Menge Geld. Alle lieben ihn. Trotzdem findet er sein Leben unerklärlich scheiße.
Ich weiß, ich bin nicht reich und nicht berühmt… und doch kann ich nachempfinden, wie sich Bourdain an diesem Punkt seines Lebens gefühlt hat. Jeder Depressive kann das. Wo wir wieder bei der wichtigen Erkenntnis sind: Ich bin nicht allein und du auch nicht. Nichts schützt vor Depressionen. Jeder kann depressiv sein.
Wichtig ist, dass man sich Hilfe sucht. Wichtig ist, dass man drüber redet.
Apropos Reden: Der Dokumentarfilmer hat die von mir zitierte E-Mail teilweise von einer Künstlichen Intelligenz einsprechen lassen, die Bourdains Stimme nachahmt. Aber das ist eine andere Geschichte.
So. Das war es für diesen Monat. Der nächste Newsletter kommt im August.
Bis dahin: Tu dir was Gutes! Egal was.
Cheers
Denis